Metta-Meditation – Kompass auf dem Weg der SelbstLiebe
Das Selbst ist eine von zwei entgegengesetzten und doch zusammengehörenden
Lebensqualitäten von uns Menschen – die andere ist unser Ich.
Oftmals kommen uns Ideen, das Ich überwinden zu wollen zugunsten des
allumfassenden Selbst. Nun kam ich durch Siegfried Essen(1) darauf, wie
erfüllend es sein kann, wenn Selbst und Ich miteinander im Austausch sind
anstatt im Kampf. So können die unterschiedlichen Qualitäten bewusst genutzt
werden und sich gegenseitig ergänzen.
Das Ich hilft uns, wenn es darum geht, Unterschiede zu erkennen und eine
Wahl zu treffen oder wenn es wichtig ist, uns abzugrenzen gegen alles, was für
uns nicht stimmig erscheint.
Das Selbst lebt in der Verbindung mit allem und allen, es ist gewohnt, zu
nehmen und zu geben, es kennt die Fülle und lebt deshalb sorglos und voller
Vertrauen. Und das Beste: „Das Selbst liebt das Ich mit unbestechlicher Liebe.“
(O-Ton Siegfried Essen.)
Damit entdeckte ich für mich eine ganz neue Dimension von Selbstliebe.
Da geht es nicht nur darum, dass wir unser begrenztes Ich mit seinen Vorzügen
und auch mit seinen Fehlern lieben lernen. Seitdem ich aufmerksam wurde auf
die Qualitäten von Ich und Selbst als zwei Erfahrungsmöglichkeiten, die wie
zwei Seiten einer Münze zusammengehören und doch auch entgegengesetzt
sind, bedeutet für mich Selbstliebe den Kontakt zwischen Selbst und Ich zu
pflegen. Das war für mich ein Aufatmen, endlich aufhören zu kämpfen und mein
Herz öffnen für diesen wundervollen Kontakt zwischen Ich und Selbst, dabei
eine ganz neue Art von Zärtlichkeit spüren. Was für ein Geschenk! Danke
Siegfried!
Und immer dann, wenn ich mich in Selbstkritik verhake oder selbst unter Druck
setze, ist es eine große Hilfe für mich, mich meinem Ich und meinem Selbst
zuzuwenden, beiden zuzuhören. Innehalten und SelbstAchtung üben hilft dann,
selbstschädigende Verhaltensweisen erst einmal zu unterbrechen. Den Weg
wieder frei zu machen, dass Ich und Selbst wieder in Kontakt kommen und sich
austauschen können ist der Anfang zur SelbstLiebe.
Auf dem Weg der SelbstLiebe sind wir wohl ein Leben lang unterwegs. Bei den
vielen Anforderungen des Lebens auf dieser Spur bleiben zu können, fällt nicht
immer leicht, zumal viele von uns langjährige Gewohnheiten haben, wenig
liebevoll und sehr kritisch mit uns selbst umzugehen.
Es gibt einen Kompass für den Weg der SelbstLiebe! Er ist frei verfügbar für
alle, handlich, gut anwendbar sowohl im Alltag als auch in stillen Stunden, im
Gehen, im Sitzen und im Liegen. Es ist die Metta-Meditation. Sie ist uns
überliefert von Buddha selbst. Es geht darum, mit dieser Meditation das Herz zu
öffnen als ein Schritt, die Täuschungen des Lebens zu durchschauen und frei
zu werden für das Leben in seiner ganzen Fülle und Lebendigkeit.
Grundlegend dabei ist es zu erkennen, dass alle Wesen danach streben,
glücklich und frei von Leid zu sein. Wenn uns das bewusst wird, spüren die
Verbindung zu anderen Menschen und Wesen.
Dadurch wird Mitgefühl (=Metta) möglich. Im Unterschied zu Mitleid geschieht
Mitgefühl auf Augenhöhe. In der Erkenntnis, ich bin nicht allein, alle Menschen
wollen glücklich und frei von Leid sein. Auch hier gehe ich in die Verbindung
zum Selbst. Ich trete aus dem Widerstand gegen das Leid heraus, beende
meine Kämpfe dagegen. Zu wissen, dass ich „in guter Gesellschaft“ bin, tröstet
und erleichtert es, erst mal loszulassen und dann Frieden zu finden. Ich kann
dort beginnen, wo ich stehe.(2) Also angenommen, ich fühle mich unter Druck,
innerlich zerrissen, sehe keine Möglichkeit, neue Kraft zu tanken… dann halte
ich inne, erinnere mich an den grundlegenden Satz: „Alle Wesen wollen
glücklich und frei von Leid sein.“ Dann spüre ich in mein Herz, welche Gefühle
da gerade auftauchen – im Bewusstsein der Verbindung zu allen Wesen, die
wie ich, glücklich und frei von Leid sein wollen. Ganz von selbst entsteht
dadurch Mitgefühl – mit mir selbst und mit allen Wesen.
Als nächsten Schritt bleibe ich in dieser Einstimmung und rezitiere (hörbar oder
innerlich) zur Vertiefung der Erfahrung Sätze wie:
“Möge ich sicher sein,
möge ich glücklich sein,
möge ich gesund sein,
möge ich mit Leichtigkeit leben.“
Dabei öffne ich mich für diese Herzqualität des Mitgefühls. Manchen Menschen
fällt es nicht leicht, sich selbst diese Aufmerksamkeit zu geben oder angesichts
von Schmerz und Unglücklichsein diese Sätze zu sprechen. Dann kann es eine
Brücke sein, erst einmal Mitgefühl für andere zu pflegen, diese Sätze zu
sprechen für andere (für einen Freund, für die Partnerin…). Grundsätzlich
wissen aber die Psychologie wie auch die Gelehrten des Buddhismus, dass die
SelbstLiebe grundlegend ist dafür, Liebe und Mitgefühl für andere zu
entwickeln.
Wer die Metta-Meditation als Weg für sich sieht, kann natürlich auch eigene
Sätze finden für sich selbst. Pema Chödron(3) empfiehlt dabei, eine begrenzte
Anzahl von Sätzen zu formulieren und dabei zu bleiben. Der Metta-erfahrende
Psychologe Christopher Germer stellt in seinem Buch(4) die Centering-Meditation
vor, die sich gut dazu eignet, eigene Sätze für die Metta-Meditation zu finden.
Kurz gesagt konzentrieren wir uns auf den Atem und öffnen uns für den tiefen,
inneren Raum von Frieden und Freiheit – lassen uns dafür Zeit. Um uns dann
zu bereit zu machen für Worte, die eventuell kommen. Um Worte anzunehmen
und sich verändern zu lassen, bis sie sich stimmig anfühlen. „Wenn ein Wort
oder ein Satz aus der Tiefe des Herzens an die Oberfläche käme, wie würde er
lauten?“
Vielleicht denken Sie jetzt, ach ja, mit Affirmationen habe ich schon gearbeitet, das
ist ja nichts Neues.
In der Metta-Meditation geht es um Öffnen des Herzens und das Erfahren von
Mitgefühl, nicht um Beeinflussung der Gedanken (die Veränderung des
Denkens ist vielleicht die Folge der Meditation).
In meiner täglichen Arbeit und auf meinem persönlichen Weg spüre ich es
immer wieder: Probleme lösen wir nicht in erster Linie mit unserer
Gedankenkraft. Meistens geht es erst mal darum, sich zu erlauben, etwas
Unangenehmes zu fühlen, es anzuschauen und dann erst sind die
Gedankenkräfte hilfreich, Lösungen zu finden. Und bei der Umsetzung geht
meistens wenig voran, wenn es uns nicht gelingt, weiterhin unser Herz zu
öffnen – für uns selbst und für alle Beteiligten. Und wenn wir den Kompass der
Metta-Meditation regelmäßig benutzen, fällt es leichter, auf dem Weg der
SelbstLiebe zu bleiben!
1 Essen, S. (2011) Selbstliebe als Lebenskunst: Ein systemisch-spiritueller Übungsweg.
Heidelberg: Carl-Auer-Verlag. Für alle, die sich eingehender mit dem Thema Ich und
Selbst auseinandersetzen möchten sehr empfehlenswert.
2 Chödron, P.(2003). Beginne wo du bist. Bielefeld: Aurum. – Ein sehr lesenswertes
Buch zum Thema Metta-Meditation von einer buddhistischen Nonne aus Amerika, die
eine besondere Gabe hat, die buddhistische Lehre für Westler verständlich
weiterzugeben.
3 Chödron, P. s.o.
4 Germer, Ch.(2010). Der achtsame Weg zur Selbstliebe. Freiburg: Arbor. (S.310)
Für alle, die daran interessiert sind, buddhistische Tradition und psychologische
Erkenntnisse zu verbinden – ein Buch, das ich immer wieder sehr gern in die Hand
nehme, weil es mir immer wieder neue Zusammenhänge eröffnet.
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NL 2011_06_24 SelbstLiebe Download dieses Artikels
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